Internationale Perspektiven auf Frieden und Versöhnung bei Podiumsgespräch

20. Juni 2023
Beim Podiumsgespräch in der St.-Marien-Kirche in Osnabrück ging es um die internationale Perspektive der Themen Versöhnung und Wiedergutmachung.Foto: Kirchenkreis Osnabrück / Maren Bergmann

„Gerechtigkeit ist noch nicht da“

Osnabrück, 19.06.2023. Frieden, Zerstörung, Vergessen, Gerechtigkeit, Vergebung – das waren nur einige der Themen, die am Vorabend des Ökumenischen Kirchentages bei dem Podiumsgespräch „Gegen ‚Das ewige Vergessen‘ – eine internationale Perspektive auf Erfahrungen mit Versöhnung und Wiedergutmachung“ besprochen wurden. Podiumsgäste aus Namibia, der Demokratischen Republik Kongo, Südafrika und Deutschland berichteten. Nach einer Einführung durch Meike Jacobs und Pastor Matthias Binder vom Friedensort Osnabrück FO:OS des Evangelisch-lutherischen Kirchenkreises Osnabrück übernahm Pastor Dr. Joe Lüdemann vom mit veranstaltenden Evangelisch-lutherischen Missionswerk (ELM) Hermannsburg die Moderation und Übersetzung für den Abend. Möglich war die Veranstaltung durch den Besuch von Partnerschaftsdelegationen, der von den Partnerschaftsausschüssen in den Evangelisch-lutherischen Kirchenkreisen Osnabrück, Bramsche, Melle-Georgsmarienhütte und Tecklenburg organisiert wurde.

Bischof Nathi M. Myaka von der Evangelisch-lutherischen Kirche im südlichen Afrika (ELCSA), Lennart Bohne (Friedensort Dokumentationsstätte Gnadenkirche Tidofeld/Norden), Pfarrer Salomon Henrico Swaartbooi und Salmone Mathewleen (Namibia, Kirchenkreis Otjiwarongo), Rose Ilunga Mutombo (Demokratische Republik Kongo/ Dortmunder Mitternachtsmission) und Pfarrerin Bawiline Shangase (Südafrika, Kirchenkreis Umfolozi) berichteten von den Erfahrungen in ihren Ländern, aber auch von persönlichen Erlebnissen. Sie machten deutlich, dass eine lange Geschichte von Unrecht durch Kolonialismus oder Apartheit noch nicht behoben sei, sondern beschrieben, dass nach wie vor die Lücke zwischen Arm und Reich groß sei und sogar noch wachse.

Bischof Myaka berichtete, dass er selbst als Kind und seine Familie während der Apartheit in Südafrika mehrfach zwangsumgesiedelt worden sei. Der Regenbogenstaat Südafrika sei nach dem Ende der Apartheit gegründet worden und die erste demokratische Wahl sei 1994 mit viel Energie durchgeführt worden. Dennoch müsse er heute feststellen, „dass die Gerechtigkeit noch nicht da ist.“ Die Arbeit der Wahrheits- und Versöhnungskommission habe nicht überall Wiedergutmachung oder die Rückgabe von enteignetem Land erreicht. Viele Menschen seien frustriert, was eine Erklärung für Gewalttaten, Rassenkonflikte, Femizide oder Plünderungen sein könne. „Aber ich gründe meine Hoffnung auf das Wort Gottes, das uns Christen dazu aufruft, friedevoll zu sein“, sagte Bischof Myaka.

Auch Pfarrer Salomon Henrico Swaartbooi schilderte seine Beobachtungen, dass alleine mit der Unabhängigkeit Namibias von der südafrikanischen Verwaltung oder der deutschen Kolonialmacht noch kein wahrer Frieden im Land erreicht worden sei. „Wenn Menschen, die Land verloren haben, auch heute noch kein Land besitzen, aber wenige Großgrundbesitzer noch immer die größten Farmen bewirtschaften“, dann sei etwas falsch. Zudem sehe er die Gefahr, dass Nationen aus Europa einen neuen Kolonialismus betreiben würden. „Namibia braucht die erneuerbaren Energien nicht, aber Europa braucht sie. Benutzt eure eigenen Länder, um zum Beispiel Sonnenenergie zu gewinnen, nicht unser Land“, lautete sein dringender Hinweis.

Fehlendes Verständnis für Mechanismen von Unterdrückung beschrieb Salmone Mathewleen. Die Psychologie-Studentin leitet einen von neun Girls Clubs des Kirchenkreises Otjiwarongo, die jungen Frauen einen guten Start in das Leben ermöglichen wollen. „Viele Menschen denken, es sei in Ordnung Gewalt auszuüben, weil sie selbst Gewalt erlebt haben. Wir müssen lernen, mit diesem Trauma umzugehen. Und wir müssen uns daran erinnern, dass wir ein Leib Christi sind, dann wird es uns gut gehen“, sagte Mathewleen.

„Wie können wir Frieden schafften, wenn weiterhin in Afrika Ressourcen geplündert werden?“, diese Frage stellte Rose Ilunga Mutombo. Die Demokratische Republik Kongo lebe nicht in Frieden. Und noch immer finde eine Ausbeutung der Menschen im Kongo statt, die nicht vom Verkauf der begehrten seltenen Erden profitierten. Europa hänge von Afrika ab, deswegen „ist es wichtig, dass wir teilen was wir haben.“

Lennart Bohne, pädagogischer Mitarbeiter im Friedensort Dokumentationsstätte Gnadenkirche Tidofeld in Norden wies darauf hin, dass die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers auf dem Weg zu einer Kirche des gerechten Friedens sei. „Dazu gehört nicht nur die Abwesenheit von Krieg, sondern sehr viele Perspektiven von Frieden“, meinte Bohne. Ohne einen Blick zurück sei Frieden in der Zukunft schwer zu erreichen.

Pfarrerin Bawiline Shangase stellte fest, dass in Südafrika der Graben zwischen Arm und Reich riesig sei. „Arme werden immer ärmer, Reiche horten immer mehr Reichtum. So gibt es keinen Frieden“, erklärte Shangase. Ihr falle es schwer, von Versöhnung zu sprechen, denn die bittere Realität sei, dass viele Menschen noch immer nichts haben. „Versöhnung ist ein Prozess, kein Zustand der über Nacht erreicht werden kann“, so Shangase. Sie rief dazu auf, als Pastor*in die Kanzel zu nutzen, um Menschen zu führen. Die Kraft in Frieden zu leben, komme von Gott.

Für musikalische Akzente während des Podiumsgesprächs sorgten der Partnerschaftschor aus Südafrika und ein spontaner Auftritt der Gäste aus Namibia.